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'Krebs ist kein Gen-Defekt' Prof. Dr. Charlotte Niemeyer möchte Vorurteile und Missverständnisse aufklären

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29. Juli 2009

Kinderkrebs stellt für viele Menschen eine Krankheit dar, die sie nicht fassen können. Falsche Ernährung, genetisch bedingt, äußere Einflüsse wie Strahlen von Strommasten dienen als Erklärungsversuche. Prof. Dr. Charlotte Niemeyer, Ärztliche Direktorin der Kinderkrebsklinik in Freiburg, sieht jedoch andere Faktoren.
VON THOMAS REIZEL

Wenn Kinder an Krebs erkranken, wirft das bei vielen Eltern Fragen und Schuldgefühle auf. "Haben wir unser Kind falsch ernährt? Was ist da ausgerechnet bei uns passiert? Wir haben doch während der Schwangerschaft nicht geraucht", zeigen sich die Eltern ratlos, oft verzweifelt.

Anhand des Beispiels Leukämie schildert Charlotte Niemeyer, wie es dazu kommt. "Grundsätzlich hat jeder Mensch defekte Zellen, je älter er wird, umso mehr", sagt sie. Bei Leukämie-Kindern ist etwas in der frühen Schwangerschaft, etwa in der 9. oder 10. Schwangerschaftswoche, schief gelaufen. "Da gab es eine solche defekte Zelle, die der Körper nicht abräumen konnte", erklärt die Ärztliche Direktorin.

Diese defekte Zelle im Immunsystem bedeutet jedoch nicht zwangsläufig den Ausbruch von Leukämie. "Da kommt irgendwas dazu", sagt Charlotte Niemeyer. Was genau das ist, wissen die Mediziner nicht. Sie halten es für möglich, dass eine Viruserkrankung verantwortlich sein könnte, die das Immunsystem verändert und die Leukämie Jahre später ausbrechen lässt. "Krebs ist also kein einfacher Gen-Defekt", erklärt sie.

Gegen die genetische Veranlagung von Kinderkrebs spricht auch, dass die Kinder derer, die mal Krebs hatten, kein erhöhtes Krebs- oder Missbildungsrisiko aufweisen. "Es gibt Zehntausende Menschen, die den Krebs besiegt haben und selbst ganz gesunde Kinder haben", sagt Charlotte Niemeyer.

Cluster auf dem Land

Im Deutschen Krebsregister in Mainz werden alle Daten zentral erfasst. Hier wird auch Ursachenforschung betrieben. "Es gibt zum Beispiel Untersuchungen im Bereich von Kernkraftwerken. Die Krebshäufigkeit von Kindern ist dort nicht höher als im ländlichen Raum", sagt Niemeyer. Andererseits seien auf dem Land so genannte Cluster registriert worden. "Da haben plötzlich drei Kinder aus einer Straße Leukämie", sagt sie. Das könnte die Hypothese der Viruserkrankungen stärken.

Umwelteinflüsse verneint Charlotte Niemeyer. "Kinderkrebs kommt nicht von Hochspannungsmasten und Atomkraftwerken. Diese Argumente werden oft politisch genutzt, verunsichern die Eltern aber ganz erheblich", berichtet sie. Bei Erwachsenen spielen hingegen äußere Einflüsse eine ganz erhebliche Rolle. Bei ihren Krebserkrankungen sprechen die Mediziner von Karzinomen. Die haben ihre Ursprung auf Haut oder Schleimhäuten. Sie entwickeln sich langsam und über Jahre und die können abhängig sein von äußeren Faktoren wie Rauchen (Lungenkrebs), zu viel Sonne (Hautkrebs) und falscher Ernährung (Dickdarmkrebs). Während Kinder überwiegend chemotherapeutisch behandelt werden, greifen bei Erwachsenen Chirurgen ein.

28 Studienzentren

In Deutschland arbeiten 28 Studienzentren, meist an großen Unversitäts- und städtischen Kliniken, daran, mehr über Krebs bei Kindern und Jugendlichen zu erfahren. Daraus resultiert überall in Deutschland eine einheitliche Behandlung. Die Fragen welche Chemo, wann und wie wird operiert, welche Nachsorge und welche Strahlentherapie zum Einsatz kommt, spielen eine zentrale Rolle.
In Freiburg beträgt die durchschnittliche Liegezeit pro Kind nur drei Tage. 20 Prozent bleiben nur einen Tag, dann kommen sie zur ambulanten Behandlung. Zu Beginn der Behandlung bleiben Leukämie-Kinder etwa zwei bis drei Wochen. "Da gibt es mit Kindern und Eltern viel zu besprechen, bis sie verstehen, was passiert ist und wie wir behandeln", sagt Charlotte Niemeyer. Eine Krebsbehandlung kann Jahre dauern. Es gibt Kinder, die müssen dabei jeden dritten Tag wegen Infusionen die Klinik aufsuchen.

(Mittelbadische Presse vom 18.11.02)